Drei Geschenke für eine Reise

1992

Packing The Bags • To save face • not to dirty one's hands • to keep a clear head • to saddle oneself• to balance reasons• to iron something out • to skive off at the right moment• fishing for compliments• to take a decision with care• to learn a lesson from someone• to fathom something out • to have a clean record and a straight foresight

Drei Geschenke für eine Reise - stumm-erzählende Vorgaben

von Wolfgang Ullrich

Adalbert Stifter, in der „Mappe meines Urgroßvaters“, beschreibt ein seit mehreren Generationen bewohntes und mit deren Hinterlassenschaften angefülltes Haus, die vor allem von den Kindern voll Faszination in ihre Spiele einbezogen werden. Meist abgenutzt oder in ihrer ursprünglichen Funktion nicht mehr ganz verständlich, wirken diese alten Dinge geheimnisvoll und stellen eine Verbindung zwischen der jeweiligen Gegenwart und der Welt der Märchen und Sagen her- „stumme, unklare Erzähler“ nennt Stifter sie. Auch gibt es in jenem Haus eine „Truhe der Brautkleider“, in der „wie Reliquien“, die Hochzeitsgewänder aller Vorfahren gesammelt sind, von deren Leben den Kindern erzählt wird, wenn die Kleider ab und zu einmal herausgeholt werden. Und noch eine Truhe gibt es, voll mit „Kostbarkeiten (...), die keinen anderen Zweck hatten, als dass sie immer liegen blieben, und die wir gelegentlich zu sehen bekamen.(...) Da war eine Schnur angefasster rasselnder, silberner Gupfknöpfe, ein Bündel Schnallen, langstielige Löffel, eine große silberne Schale (...), dann waren zwei hornerne Adlerschnäbel, einige Bündel von Goldborten, und anderes, was in der Dunkelheit so geheimnisvoll leuchtete, und worin wir nie kramen durften, weil die Mutter bei solchen Gelegenheiten stets nicht die Zeit hatte, sondern zusperren und fortgehen musste“. „Drei Geschenke für eine Reise“ nennt Diemut Schilling ihre aus einer Truhe, einem von einem Eichenblock beschwerten Stapel Weißwäsche und einem Marmorblock bestehende Arbeit, und damit ist klar, dass es sich hierbei weniger um Reliquien handelt als um noch nicht gebrauchte Gegenstände, die zum Leben - als der hier gemeinten Reise - dienen sollen. Und doch hat die von Stifter beschriebene Truhe mit der bei dieser Arbeit gezeigten viel zu tun.

Was beide verbindet, ist die Betonung einer geradezu erotisch-glänzenden Dimension der Gegenstände. Haben sie bei Stifter eine Aura des Besonderen, weil sie aus einer im einzelnen unbekannten Vergangenheit stammen und ihrer einst selbstverständlichen Züge beraubt sind, so erlangen sie bei Diemut Schilling Kostbarkeit, da sie in der Truhe wie in einer Schatulle liegen, sorgfältig eingebettet in ihre samtüberzogenen Negativformen. Zudem gilt der übliche Bezug, den man zu ihnen jeweils haben mag, gerade auch nicht - das Nebeneinander der Dinge in der Truhe ist dafür zu ungewöhnlich. Die Welt, die durch sie eröffnet wird, ist ein wenig anders als die wohlvertraute.

Doch handelt es sich dabei auch nicht einfach um einen nostalgischen Rückblick auf eine gewesene Epoche, wie es bei isolierter Betrachtung vielleicht der Tintenlöscher oder das alte Bügeleisen vermuten ließen. Als diese außer Gebrauch kamen, tauchten Plastikgegenstände wie der Köderfisch dafür überhaupt erstmals auf.

Dass die Gegenstände also gar keine bestimmte Zeit vertreten und in einer das Bekannte aufhebenden Konstellation vorliegen, erhebt sie zu etwas Geheimnisvollem und gar dezent Mythischem, weshalb man auch von ihnen sagen könnte, sie erzählten etwas, was aber unklar und unfasslich bleibt. Anstatt eine feste Bedeutung zu haben, verheißen sie all die Wünsche und Erwartungen, die man von Dingen haben mag, das Bezugspotential, das sich zwischen ihnen jederzeit bildet, gibt Eigenschaften wie Zauberkraft, Unverlierbarkeit oder Beschützerkraft frei.

Bedenkt man dann noch den Titel der Arbeit, so ließe sich dabei an eine Art Taufgeschenk denken, mit dem das Leben unter vielversprechende Vorzeichen gestellt werden soll. Tatsächlich bekam man früher mancherorts als Täufling von seinem Paten etwa Handschuhe ähnlich denen in der Truhe, damit das Kind einmal geschickt und fleißig werden möge. Nützlichkeit und Aberglaube gehen dabei ebenso ineinander wie das Alltägliche der Gegenstände und ihre geheimnisvolle Präsentation im Falle der Arbeit von Diemut Schilling. Vergleichbares lässt sich auch von den anderen Objekten feststellen, die zu dieser Arbeit gehören. Dass es sich bei den, akkurat zusammen- und aufeinandergelegten Leintüchern um so etwas wie eine Mitgift handelt, ist naheliegend, doch insofern sie von einem Holzblock beschwert werden, sind auch sie ihres üblichen Kontextes enthoben. Streng wirkt diese Zusammenstellung, so als sei mit diesem zweiten der Geschenke zugleich die Warnung ausgesprochen, nicht zu sehr das als feststehend Geltende zu verlassen. Der Holzquader setzt gleichsam Maßstäbe, und in seiner nicht weiter bearbeiteten Form ist er zugleich Rohmaterial für etwas, was man im Laufe des Lebens errichten mag. Darin kommt er mit dem Marmorblock- als der einmal zu beschriftenden Grabplatte?-überein, der in Farbe und Maßen dem Leinen entspricht. Stein, Stoff und Holz- drei elementare Materialien- gehören so zum Geschenkten, mit ihnen hat man lebenslang immer wieder zu tun. Neben ihrer konkreten Nutzbarkeit haben diese Gegenstände gerade in ihrer schlichten, materialbetonten Form den Charakter von Dinglichkeit überhaupt, sie transzendieren also gleichsam jegliche konkrete Funktionalität, sind so auf ihre Weise ebenfalls stumm und erzählend zugleich. Insgesamt ist in den „Drei Geschenken für eine Reise“ als Vorgaben eines Lebens bereits etwas von der bei Stifter geschilderten Atmosphäre angelegt, die sich bei diesem aus dem bildet, was von einem Leben einmal geblieben sein wird, wenn das noch Unbestimmte in ein wieder Unbestimmtes übergegangen sein wird.