Bindungsräume

2015/2016
Besuchsräume der Justizvollzugsanstalt, Köln

Pressebeiträge zum Projekt:
Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft
Express Köln
Kölner Stadt-Anzeiger
RTL
idw online

„Bindungsräume“ entstand in Kooperation mit der JVA Köln sowie der Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe e.V. und Morning Tears. 10 Studentinnen der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft, Studiengänge Kunst-Pädagogik-Therapie und Kindheitspädagogik, setzten unter meiner Begleitung in einem Zeitraum von fast 2 Jahren dieses Projekt sukzessive vor Ort um.
Ziel war es, die Räume in der JVA, in denen Kinder mit inhaftierten Eltern Zeit verbringen mit Partizipation der Inhaftierten so umzugestalten, dass die Aufenthaltsqualität der Opfer dritten Grades nachhaltig verbessert wird.
Gefördert von der Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft, Morning Tears Deutschland und KRASS e.V. nutzten Theresa Herzog und Diana Dauer im Jahr 2015 die Möglichkeit das Wartehaus für Besucher*innen der JVA umzugestalten. Das Ziel war es vor allem, partizipativ mit Inhaftierten in den Werkstätten der JVA zusammenzuarbeiten und den Angehörigen zu erleichtern, das „Drinnen“ der JVA zu verstehen. Die aus ca. 700 Fotos bestehende Fotocollage vor dem Eingang der JVA zeigt den Besucher*innen, wie es im Inneren eines Gefängnisses aussieht und erweitert so auf detaillierte Art den Blick für das Leben hinter den Mauern.

Christina Keuling entwickelte ihr Projekt in Zusammenarbeit mit der Kunsttherapie der JVA, in der sie mehrere Wochen mit den dort regelmäßig teilnehmenden Inhaftierten zeichnerisch Motive zum Thema Haft entwickelte. Zur anschließenden Reduktion auf Schwarz-Weiß-Kontraste setzten die Teilnehmerinnen ihre Zeichnungen in einem zweiten Schritt mit dicken schwarzen Markern in vereinfachte Grafiken um. Ziel von Christina war es, aus diesen Grafiken Linolschnitte zu fertigen und diese als Stoffdruckstempel für einen neuen Gardinenstoff der Kontrollschleuse zu verwenden.

Im Focus gleich mehrerer Studentinnen, Luisa Koch, Luisa Tegtmeyer, Anna Neumann und Theresa Herzog, stand die gemeinsame Umgestaltung des großen Besucherraumes. Für die Umgestaltung der Wände aller Besucherräume der JVA entwickelten die Studentinnen das Leitmotiv der "farblichen Jahreszeiten"- unter Bezugnahme auf die nachgewiesene therapeutische Wirkung von Naturmotiven generell, förderlich in diesem sonst ästhetisch ausgesprochen nüchtern-sachlich gehaltenen Umfeld. Neben der Farbstimmung war für ein Naturmotiv auch ausschlaggebend die Vorstellung, dass Kinder - bewusst sowie unbewusst, sich gerne in Landschaften hineinträumen und das optische Angebot auf der Wand der Fantasie möglicherweise ab und zu eine Alternative zur realen Situation bietet. In die großformatigen Bildabschnitte hinein wurden am unteren Abschnitt verfremdete Fotografien integriert, die Inhaftierte von Details in ihren Zellen gemacht hatten. Auf zurückhaltende Weise verwebt sich - auch farblich - an dieser Stelle die Ferne eines Waldes mit der Haftrealität vor Ort. In der Farbstimmung des Herbstes und Winters sind in entsprechender Konzeption zwei weitere Einzelgesprächsräume gestaltet.

Ein gesondertes Projekt für einen weiteren Einzelgesprächsraum realisierte Anna Neumann, auch sie in Kooperation mit der Kunsttherapie der JVA. Hier ging der letztendlichen Bildrealisation eine ausführliche und behutsame Erarbeitung von Motiven zum Thema "Hoffnung" voraus. In dem anschließend realisierten Tafelbild sind alle von den Inhaftierten gesammelten Symboliken zu einer zarten Gesamtkomposition zusammengefügt.

Das wohl komplexeste und medial präsenteste Projekt realisierte Luisa Tegtmeyer, die mit diesem aufwändigen Projekt auch gleich ihre Bachelorarbeit verband. Ihr Projekt "Buddy" fundiert auf der Geschichte eines kleinen Bären, dessen Vater inhaftiert ist. Ein von ihr entwickeltes Bilderbuch beschreibt in Dialogen des Bären mit seiner Mutter, seinen Gedanken und seinem Besuchergang ins Gefängnis - synonym für alle Kinder in einer ähnlicher Lage - die in diesem Kontext aufkeimenden Ängste, gestellten Fragen und bietet einen gedanklichen Lösungsansatz sowie potenzielle Handlungsstrategien an. Am Ende des mit Aquarellen illustrierten Bilderbuches findet das lesende Kind einen kleinen eingeklebten Umschlag mit einem leeren Briefpapier darin vor, um darauf dem Vater (oder der Mutter) - wie der Bär Buddy- einen Brief in die Haft zu schreiben.
Dieses Buch liegt zum Vorlesen in den Besucherräumen der JVA aus. Im "Knastshop" kann der Inhaftierte einen "Buddy" als kleines Kuscheltier erwerben, das er dem Kind während seines Besuches schenken kann. Diese "Buddy's" wiederum sind von Inhaftierten nach einem Schnittmuster in der JVA-Schneiderei von Hand angefertigt worden. So ist Buddy und seine Konzeption auch dort den Näherinnen bekannt. Buddy führt darüber hinaus das Kind auf seinem gesamten Weg durch die Flure der JVA bis hin zu dem Besucherraum: nicht nur die bunte Figur in Form von wiederkehrenden kindsgroßen Laminaten an der Wand, - auch seine auf den Boden applizierten schmutzigen Tatzenspuren begleiten das Kind und bieten ihm so eine solidarische Raumorientierung fernab der eines begleitenden Erwachsenen.

Respektive der Eingangs skizzierten, höchst komplexen - und noch in keinster Weise abschließend ausgeloteten - Möglichkeiten von Kunst und Partizipation muss man an dieser Stelle betonen, wie bemerkenswert mutig alle Beteiligten - Hilfsorganisationen, die Leitung der JVA sowie Studierende - sich gemeinsam auf das Terrain dieser "terra icognita" gewagt haben, um dort Grenzen des Denkens zu erweitern, künstlerische Strategien zu erproben und echte Erfahrungen zu sammeln und auszuwerten. Erfahrungen an einem Ort, an dem eigentlich nichts dem Zufall überlassen werden kann und Veränderungen fast unmöglich scheinen, einem Ort, in dem jedes Detail der Räumlichkeiten und sonstigen Handlungsspielräume strengen Sicherheitsbestimmungen unterliegt.
In einer JVA dennoch künstlerische Intervention mit partizipativem Ansatz zu wagen, birgt hinsichtlich unseres Anliegens - der Verbesserung der Situation der Kinder Inhaftierter sowie Inhaftierter in den Räumen einer JVA - größtes Potenzial.

Auszug aus dem Tagungsbeitrag Fachwoche Straffälligenhilfe, „Mit Kunst Brücken bauen- Die Bedeutung von Kunst(projekten) in der Arbeit mit Straffälligen“ 30.11.-02.12.2015, Meissen